Ohne Bahnhof von Yüksel Pazarkaya, öffentliche Leseprobe, 3.5.2025, 15 Uhr
Der Autor Yüksel Pazarkaya prägte in den 60er Jahren wesentlich die türkisch-deutsche Theaterszene. Er schrieb für lokale und überregionale Tageszeitungen, mitbegründete die Studiobühne an der Technischen Universität Stuttgart, inszenierte mit türkischen und deutschen Ensembles, übersetzte Theaterstücke aus dem Türkischen und verfasste eigene. Sein Erstlingswerk ,Ohne Bahnhof‘ (uraufgeführt 1967, Theater der Altstadt Stuttgart) kann, laut dem Literaturwissenschaftler Erol M. Boran, als erstes Bühnenwerk eines türkisch-deutschen Autors gelten. Pazarkayas Stück ist heute weitgehend vergessen. Auf Initiative des Stuttgarter Schaudepots für die Darstellenden Künste wird jetzt, fast 60 Jahre später, Text und szenische Uraufführung neu gelesen und erinnert.
Am 3.5.2025 findet im Rahmen von ,Das Schaudepot – Spezial XIII‘ eine erste öffentliche Begegnung mit dem Text, Yüksel Pazarkaya sowie Özlem Özgül Dündar, Andreas Nikakis, Karina Pino und Nesrin Tanç als weiteren Gästen statt.
Dramaturgie und Recherche: Felicitas Arnold.
Am 18.10. findet im Rahmen von ,Das Schaudepot - Spezial XV’ eine öffentliche Bauprobe statt. Erstmals getestet wird ein neues Performance-Format als Teil der permanenten Sammlung des ersten Schaudepots für die Darstellenden Künste, basierend auf Yüksel Pazarkayas ,Ohne Bahnhof’. Von und mit Özlem Özgül Dündar, Karina Pino, Melanie Mohren und Bernhard Herbordt. Dramaturgie und Recherche: Felicitas Arnold. Mitarbeit: Linda Bockmeyer.
Weitere Termine in Kürze hier.
Eine Produktion von Herbordt/Mohren, gefördert durch den Landesverband Freie Tanz- und Theaterschaffende Baden-Württemberg e. V. und die Landeshauptstadt Stuttgart.
Pazarkaya über Pazarkaya
,Ich bin überhaupt derjenige, der mit dem türkischen Theater in Deutschland begonnen hat. Schon in den sechziger Jahren verfasste ich zahlreiche Artikel zu dem Thema für die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1961 war ich einer der Mitbegründer der Studiobühne der Universität in Stuttgart und leitete diese Gruppe zwischen 1963 und 1969 selbst. In dieser Zeit führte ich unter anderem die ersten türkischen Theaterstücke in Deutschland in eigener Übersetzung auf, aber auch Tschechow, Pinter, Brecht und so weiter; und auch mein eigenes Stück ,Ohne Bahnhof‘, das ich damals speziell für diese Gruppe schrieb. Das Projekt war Teil des Studiums Generale der Universität Stuttgart, die damals noch Technische Hochschule Stuttgart hieß. Wir hatten dort ein festes deutsches Ensemble. Jedes Semester erschien ein Programm. Mit den Stücken gingen wir zu den Festivals nach Erlangen und auch nach Istanbul. Zum Teil spielte ich selbst mit. Und parallel dazu inszenierte ich auch Stücke mit deutschen Amateur-Ensembles, zum Beispiel in Schwäbisch-Hall. Ich war übrigens auch der Erste, der nach dem Krieg in Princeton an der germanistischen Abteilung der Universität mit den Germanistikstudenten ein Stück in deutscher Sprache inszenierte. Das war ,Die Kleinbürgerhochzeit‘ von Bertolt Brecht im Jahr 1989. Damals war ich dort ein Semester lang Gastprofessor.‘
Yüksel Pazarkaya in Erol M. Boran: Die Geschichte des türkisch-deutschen Theaters und Kabaretts. Vier Jahrzehnte Migrantenbühne in der Bundesrepublik (1961-2004). Bielefeld: transcript Verlag. 2023. S. 360.
Textauszug ,Ohne Bahnhof‘
YÜKSEL PAZARKAYA
OHNE BAHNHOF
Schauspiel
(In diesem Augenblick kommt der Informationsbeamte der Bahn mit dem Fahrzeitenbuch unterm Arm. Der Journalist und der Fremde stehen auf und gehen zu ihm. Die Arbeiterin bleibt sitzen. Der Fremde zeigt dem Beamten seine Fahrkarte.)
JOURNALIST:
Als sei hier der ödeste Bahnsteig der Welt.
BEAMTER: (hebt den Kopf von der Fahrkarte des Fremden)
Haben Sie mir etwas gesagt?
JOURNALIST:
Ich sage – macht denn hier kein Zug einmal Halt?
BEAMTER:
Macht, macht schon. Nur Geduld.
(Kontrolliert wieder die Fahrkarte des Fremden.)
Dieser Zug kommt nicht zu diesem Bahnsteig. Sie sind hier falsch.
(Der Fremde versteht den Beamten nicht. Er versucht mit Gebärden klar zu machen, dass er ihn nicht versteht und zeigt ihm seine Armbanduhr, damit der Beamte ihm die Ankunftszeit des Zuges zeigt.)
JOURNALIST:
Er versteht die Sprache nicht, er ist Fremdarbeiter.
BEAMTER:
Das sieht man, er ist auf dem falschen Bahnsteig.
JOURNALIST:
Von welchem Gleis fährt sein Zug?
BEAMTER:
Das ist unwichtig.
JOURNALIST:
Ich verstehe Sie nicht.
BEAMTER:
Es ist nicht wichtig. Er ist einmal zum falschen Bahnsteig gekommen. Von hier aus kann er nirgends hin gehen. Zu den anderen Bahnsteigen gibt es von hier keinen Zugang. Zwischen den Bahnsteigen liegen Abgründe.
JOURNALIST:
Was wird dieser Mann jetzt machen?
BEAMTER:
Was soll er machen? Was alle anderen machen, wird er wohl auch machen müssen. Er wird warten und hoffen, dass zufällig ein Zug kommt, der zu seinem Zielort fährt. Oder er muss einen Zug nehmen und in einem anderen Ort in den richtigen Zug umsteigen.
© Alle Rechte beim Autor
Erol M. Boran über ,Ohne Bahnhof‘
,Ein besonderer Stellenwert kommt /.../ Pazarkayas eigenem Stück ,Ohne Bahnhof‘ (1966) zu, das am 9. Mai 1968 [Anm. d. Red.: 1967] im Theater der Altstadt in Stuttgart uraufgeführt wurde und damit als erstes Bühnenwerk eines türkisch-deutschen Autors überhaupt gelten kann. Im Gegensatz zu den meisten seiner übrigen literarischen Werke, die Pazarkaya bis heute vorwiegend in seiner Muttersprache verfasst (und anschließend oft selbst übersetzt), schrieb er dieses Drama, das unter anderem einen Türken präsentierte, direkt auf Deutsch. Der Autor beschreibt: ,Hier trat zum ersten Male ein türkischer Gastarbeiter auf, völlig stumm vom Anfang bis zum Ende des Stücks. Es handelt sich um ein Fünf-Personen-Stück, alle Charaktere halten sich ständig auf der Bühne auf. Dieser Gastarbeiter ist also eine ganz zentrale Figur, spricht aber, wie gesagt, im gesamten Verlauf des Stückes kein einziges Wort. Er spielt schweigend mit, weil er damals noch kein Wort Deutsch kann.‘ (Ebd.) ,Ohne Bahnhof‘, dessen Titel auf einen der bevorzugten Aufenthaltsorte der Türken in den 1960er Jahren verweist, als sie noch keine eigenen Clubs und Vereine besaßen und ihnen deutsche Lokalitäten zum Teil versperrt waren (vgl. Terkessidis, Migranten, S. 20), ist ein vielschichtiges Drama, das inhaltlich und strukturell Bezüge zum Absurden Theater aufweist. Das Bild des schweigenden Türken ruft zunächst die restriktiven Darstellungen seitens deutscher Dramatiker in Erinnerung /.../. Anders als bei Strauß und Kroetz, deren ,Türken-Stücke‘ gegen 1980 erschienen, stellt Pazarkayas stummer Charakter jedoch keinen Anachronismus dar, sondern war zur Zeit, als er ,Ohne Bahnhof‘ verfasste, noch eine gelebte Realität. Zudem verleiht er seiner Figur eine ganz andere Tiefe und Komplexität, als dies bei den erwähnten Stücken der Fall war.‘
Erol M. Boran: Die Geschichte des türkisch-deutschen Theaters und Kabaretts. Vier Jahrzehnte Migrantenbühne in der Bundesrepublik (1961-2004). Bielefeld: transcript Verlag. 2023. S. 98 f.
Nesrin Tanç über die historische Einbettung migrantischer Kulturgeschichte in Deutschland
Impulsbeitrag zur historischen Einbettung migrantischer Kulturgeschichte in Deutschland
Für Herbordt/Mohren von Dr. Nesrin Tanç
Ich danke für die Einladung, einen Beitrag zur historischen Einbettung dieses wichtigen kulturellen Vorhabens leisten zu dürfen. Ich bin aus Duisburg zugeschaltet und befinde mich in meinem kleinen privaten Archiv im Dreigiebelhaus Duisburg, was ich – neben all den institutionellen Archiven, an denen ich mitgewirkt habe – in den letzten Jahren beziehungsweise im letzten Jahrzehnt aufbauen konnte. Dieses private Archiv entstand aus der Notwendigkeit, nicht nur Materialien zu sammeln, sondern auch Lücken sichtbar zu machen – Lücken in der offiziellen Geschichtsschreibung, in den institutionellen Archiven, in den erinnerungspolitischen Aushandlungen zur Migrationsgesellschaft.
Während meiner Promotion an der Universität Duisburg-Essen am Lehrstuhl von Frau Prof. Kader Konuk war ich an der Gründung des Transnationalen Literaturarchivs beteiligt. In meiner Dissertation ,Die Ordnung der Vielfalt‘ habe ich mich intensiv mit Fakir Baykurts Literatur, dem anatolischen Humanismus und den Dorfinstituten beschäftigt. Auch Emine Sevgi Özdamar, Kemal Yalçın und Rauf Ceylan standen im Fokus meiner Auseinandersetzung. In meiner Arbeit ging es nicht nur um eine literatur-und kulturwissenschaftliche Perspektive, sondern ebenso um Regionalität: Ich habe untersucht, inwiefern Fakir Baykurts Literatur, die zu großen Teilen in seiner Duisburger Zeit entstand, als transregionale Literatur und somit als Teil der Ruhrgebietsliteratur gelesen werden kann.
Die Inhalte meiner Arbeit sowie meine kulturpraktischen Projekte werden ab August in Buchform beim Transcript Verlag veröffentlicht – open access und mit einem eigenen didaktischen Teil. Dieser Teil entstand in Zusammenarbeit mit Özlem Avci, die zentrale methodische Überlegungen zur Vermittlung migrantischer Literatur im Unterricht und anderen Bildungsformaten beigetragen hat und Irem Kurt, die Illustrationen zu den Narrativen und Erzählungen geschaffen hat. Unsere gemeinsame Arbeit versteht sich als Antwort auf eine Leerstelle in der Bildungslandschaft: das Fehlen wissenschaftlich, künstlerisch und didaktisch fundierter Zugänge zu migrantischem literarischen Erbe.
Ein Teil meiner kulturpraktischen Forschung war auch die Studie „Ne kaldı? Ne kalacak? Was bleibt? Was ist geblieben?“, die ich im Auftrag des Instituts für Auslandsbeziehungen mit Sitz in Stuttgart verfasst habe. Diese Auseinandersetzung mit den Erinnerungen der sogenannten Gastarbeiter*innen-Generation war auch Teil meines performativen Arbeitens mit Ausstellungen und Installationen. Ab August lade ich herzlich zu meiner Ausstellung im Rahmen der Ruhrtriennale in Duisburg ein. Auch hier wird es um - die Operation am offenen kulturellen Gedächtnis - das Spannungsfeld zwischen Erinnerung, Vergegenwärtigung und Sichtbarkeit migrantischer Stimmen gehen.
Das migrantische Erbe befindet sich im ganzen Land – nicht nur in Stuttgart – in einem Zustand des – ich nennen es : verhandlungsunsicheren Provisoriums. Ein Zustand des Aushandelns, Ausharrens, ein unsicheres Provisorium im Moment des Erfahrens einzelner wichtiger Referenzpunkte in der Kultur- und Theatergeschichte der Städte birgt weitere Herausforderungen. In Stuttgart konnte ich beim Schaudepot in Anwesenheit des Autors Yüksel Pazarkaya dabei sein. Diese Momente sind für ephemeres, nicht archiviertes Wissen von unschätzbarem Wert.
Es sind Augenblicke, in denen kollektives Gedächtnis performativ wird – in denen Geschichte nicht nur erzählt, sondern erlebt wird. Solche Situationen machen deutlich, wie dringend wir neue Formen des Erinnerns, Archivierens und Sichtbarmachens benötigen.
Wenn wir über die Geschichte der Migration aus der Türkei nach Deutschland sprechen, denken viele zunächst an die sogenannte Gastarbeit: an Fließbänder, Werkhallen, Akkordarbeit. Doch die kulturelle Geschichte beginnt nicht erst in den Betrieben – sondern in Redaktionen, Universitäten und literarischen Zirkeln. Meine Forschung zum anatolischen Humanismus in Fakir Baykurts Werk zeigt, dass in den 1960er-Jahren prägende Gruppen von Bildungsbürger*innen nach Deutschland kamen. Unter ihnen: Yüksel Pazarkaya, der die kulturelle Selbstrepräsentation der migrantischen Community durch Literatur, Lehre, Medien und politische Bildung entscheidend vorantrieb und mit Medien und Literatur und Netzwerkarbeit Orte kultureller Artikulation erschaffen konnte. Pazarkaya war kein Übersetzungsbüro oder ein Kulturbüro der Mehrheitsgesellschaft, sondern er erschuf Trägerschaften für das Archiv aus der Mitte der Migrationsgesellschaft heraus. Die Arbeit dieser Generation macht bis heute das Ungehörte hörbar – und das Unverzeichnete archivwürdig.
Diese Stimmen und Generation steht für eine postmigrantische Bildungsreform von innen heraus – getragen von migrantischen Intellektuellen.
Außerhalb der Institutionen und Hochschulen schrieben Autor*innen, Arbeiter*innen, Exilant*innen zahlreich an der Migrationsgesellschaft mit. Besonders die Arbeit und das Netzwerk von Yüksel Pazarkaya dokumentiert Schlüsselquellen: diese Biografien sind nicht nur Archiv, sondern kollektives Gedächtnis pluralistisch-humanistischen Denkens und Handelns in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Doch bis heute fehlt es an Zugänglichkeit zu diesen Materialien. Staatliche Bewahrung der Literatur- und Kulturgeschichte der pluralen Migrationsgesellschaft findet nicht statt. Deshalb ist es umso wichtiger, mit Zeitzeug*innen in Kontakt zu bleiben und die Bewegungen der Vor- und Nachlässe aufmerksam zu begleiten. Leider ist es bis heute
vielerorts nicht möglich, in kommunale Literatur- oder Stadtmuseen zu gehen und dort selbstständig und autark zu Netzwerken und Akteur*innen zu forschen.
Die Orte dieser Akteur*innen – ihre Lebensorte, aber auch ihre erzählten Orte in der Literatur – können nur in einzelnen Fällen klar identifiziert und eruiert werden. Stuttgart beispielsweise, als Studien-, Lebens- und Schreibort von Yüksel Pazarkaya, ist nicht nur ein biografischer Bezugspunkt, sondern auch literarisch aufgeladen. Es braucht eine Zivilgesellschaft, die sich diesen Geschichten annimmt – jenseits von offiziellen Gedächtnispolitiken. Diese Werke und Biografien dürfen nicht zu einer homogenen Aushandlungsmasse abgewirtschaftet und abgewertet werden. Präzises hinschauen, genaue Rekonstruktion sind nicht immer Teil von künstlerischen Auseinandersetzungen, aber in diesen Fällen trägt der Moment des Erfahrens eine Verantwortung inne, die nicht verdrängt werden darf. Denn die Trägerschaft dieser Verantwortung im des Moment des Erfahrens hat das Potential Teil der so notwendigen ,Wendepunkte‘ und zahlreich bekundeten ,Bekenntnisse‘ zu einer pluralistischen Theater- und Kulturszene.
Sie steht für ein Ziel, das wir mit vielen Wissenschaftler*innen und Autor*innen teilen, die vor uns für Anerkennung ihrer Perspektiven in der kulturellen Öffentlichkeit gekämpft haben. Doch diese Anerkennung verliert ihre Substanz, wenn sie ohne Kontext, ohne Dialog und ohne Autor*innenschaft erfolgt. Denn die ersten zweisprachigen Autor*innen der Diaspora legten frühe Grundlage für postmigrantische Ansprüche, auf die wir uns heute – zumindest teilweise – beziehen können.
Die migrantischen Netzwerke der 1960er-Jahre waren bemerkenswert dicht: Sie verbanden Bildungsarbeit mit literarischer Produktion, kritische Wissenschaft mit praktischer Kulturarbeit. Das kulturelle Erbe dieser Zeit ist kein abgeschlossenes Kapitel, sondern ein fortlaufender noch offener Prozess. Es ist ein unsicheres Provisorium im besten Sinne – offen für neue Stimmen, neue Zugänge, neue Allianzen.
In diesem Sinne hoffe ich, dass unsere heutigen Auseinandersetzungen nicht nur dokumentieren, sondern Handlungsspielräume eröffnen – für eine gerechtere Kulturszene, Erinnerungskultur, für neue Formen von Archivierung und Verstehen, Erfahren, Umsetzen, für ein kulturelles Selbstverständnis, das die Migration nicht nur mitdenkt, sondern als Fundament begreift.
Duisburg, 15.05.2025
Özlem Özgül Dündar über Gastarbeiter in
Das 'in' wurde sowieso vergessen, das brauche ich wohl nicht zu thematisieren. Es wird ja auch heute noch immer nicht mitgedacht oder mitgesprochen oder mitgeschrieben. Also das 'in' ist eine ganz andere diskussion. Der rest bestehend
aus 'gast' und 'arbeiter' kann mehr dazwischen gar nicht stehen, denn weder als gast ist man wirklich teil des hauses noch ist man als arbeiter in einer mitentscheidenden position in der firma, für die man arbeitet. Man ist in einer nicht dazugehörenden position, wo man nicht offiziell teil der entscheidenden parteien ist. Und ja, man bezeichnet sie als 'gastarbeiter', man will, dass menschen kommen und schuften, aber man will ihnen um alles in der welt keine rechte zusprechen. Man will ihnen nicht einmal sprachlich etwas zusprechen, indem man ihnen eine bezeichnung gibt, die sie auf die idee bringen könnte, dass sie hier irgendwelche rechte besitzen oder in irgendeiner form dazugehören oder gar mitentscheiden könnten. Mit 'hier' meine ich deutschland, da drin sitze ich nämlich gerade als ich diesen essay schreibe. Also hier in deutschland will man ihnen nichts geben, auch nicht einmal auf der sprachlichen ebene, das irgendein recht auf irgendetwas möglicherweise andeuten könnte. Selbst, dass sie hier inzwischen – 2021 – auch ganz tatsächlich 'leben', mit allem, was zu diesem 'leben' dazugehört, auch das will man ihnen nicht zusprechen, denn heute sind sie ‘ausländer’ oder 'menschen mit mitgrationshintergrund', selbst ihre kinder und kindeskinder sind es. Warum macht man sich selbst und diesen menschen das leben so schwer? Wäre es nicht alles viel einfacher, wenn man nicht in solchen kategorien denken würde und zum beispiel diese menschen einfach 'menschen' nennen würde und auch als solche sehen würde? Ich finde, man könnte sie auch 'menschen' nennen, also, was genau spricht dagegen? Ich finde, nichts. Also, wie wäre diese idee? Wäre nicht schlecht, oder? Andere menschen, nennt man ja auch einfach menschen oder, auf welchem planeten leben diese leute, die das nicht so sehen?
Dieses wort 'gastarbeiter' ist aus dem alltagsgebrauch, ein wort, eine benennung durch die sogenannte 'gesellschaft' und nicht von offizieller seite. Und diese gesellschaft, die diese benennung gemacht hat, ist selbst schon ein multiples, sonst wäre diese ansammlung an menschen ja keine 'gesellschaft', sondern eine summe von individuen, also man würde diese ansammlung an menschen dann nicht eine 'gesellschaft' nennen, sondern 82.000.000 individuen, die sich gerade jetzt und hier innerhalb der geographischen koordinaten so und so befinden. Was ich damit sagen will ist, dass eine 'gesellschaft' per se ein multiples ist und daher auch die kategorisierung als 'gast' keinen sinn macht. Wer drin ist, ist drin und damit teil der gesellschaft und kein gast in der gesellschaft. Und dieses drinsein ändert nicht nur den standpunkt des individuums, das ein neues mitglied dieser gesellschaft ist, sondern auch die gesellschaft als solches, die ein neues mitglied dazubekommen hat, eigentlich müsste man 'dazugewonnen' sagen. Denn jedes neue mitglied bringt neue ideen und neues wissen mit. Ich sehe natürlich, dass diese sichtweise von einigen hier nicht nachvollzogen wird, dieses neue mitglied der gesellschaft als etwas 'dazugewonnenes' zu betrachten, das würde ja heißen, das mitglied ist kein gast, der wieder weggeht, sondern so etwas wie ein geschenk. Und geschenke lehnt man nicht ab, ganz im gegenteil: eigentlich würdigt man sie sogar in einer gewissen weise, indem man ihnen zum beispiel einen ihnen würdigen platz bei sich gibt. Wenn ich ein geschenk bekomme, dann würdige ich das, indem ich es an einen guten platz in meiner wohnung stelle und ich hege und pflege es mit freude.
Das wort 'gast' impliziert nicht nur jemanden, der mal kommt und geht. Jemand, der ein gast ist oder geworden ist, ist in der regel einer einladung gefolgt, die irgendwann vor dem erscheinen des gasts ausgesprochen oder schriftlich
verschickt wurde. Diese einladung hat eine gewisse offenheit zur prämisse, jemand, der eingeladen wurde, wird in der regel mit offenen armen begrüßt und ist dort, wo er*sie ist, gerne gesehen und willkommen. Einen gast verpflegt man in der regel mit speisen und getränken. Auch beherbergt man einen gast, wenn der gast von weit angereist ist. Manch einer bleibt auch längere zeit ein gast. Der gaststatus schließt hierbei nicht aus, dass der gast, auch das eine oder
andere an gepflogenheiten des hauses, indem er*sie gast ist, lernt oder auch das eine oder andere den gastgeber*innen beibringt. Oft bringt ein gast auch ein geschenk mit als freundliche geste, als zeichen der gegenseitigen sympathie oder
des wunsches nach gegenseitiger sympathie und auch als eine kleine form des dankes für die verpflegung und die beherbergung, die der gast großzügigerweise von den gastgeber*innen erfahren wird. So gesehen war das geschenk der
sogenannten 'gastarbeiter' dementsprechend ihre arbeitskraft. Klar.
Einem gast bietet man das feinste an, was man hat. So kenne ich das. Man bereitet sich als gastgeber*in auf den gast vor. Man geht vorher einkaufen, damit man dem gast etwas feines zum trinken oder essen hinstellen kann. Eventuell richtet man auch sein haus zurecht, wenn es ein gast ist, der über nacht beherbergt werden soll oder länger bleiben wird. Zum beispiel verlegt man noch schnell die fliesen im flur. Die seit einem jahr so halb als baustelle im flur herumstehen. Man entsorgt den berg an leergut in der küche. Man putzt das bad. Man kauft bier oder kaffee ein und kekse und chips und eventuell auch lebensmittel für eine ganze mahlzeit und auch für frühstück, und ja, knabberzeug, falls der gast zwischendurch hunger bekommen sollte, denn der gast soll ja nicht hungern oder dem gast soll es überhaupt an nichts fehlen im haus der gastgeber*in. Der gast soll sich wie zu hause fühlen. Das sagt man ja gerne zu seinen gästen „fühl dich wie zuhause“, wenn man eine tolle gastgeber*in sein will, dann fällt mindestens einmal dieser satz. Und das sagt man nicht nur so, sondern erklärt noch dazu „Bedien dich am kühlschrank. Du kannst jederzeit in die küche...“ usw.. Also, man sagt nicht nur „Fühl dich wie zuhause“, sondern man erklärt noch, was man damit genau meint, und damit will man eigentlich auch nur deutlich machen, dass man den satz „Fühl dich wie zu hause“ wirklich so meint, wie man sagt, dass man es nicht nur als floskel daher plappert, dass der mund nicht nur irgendeine bewegung macht und irgendwelche zufälligen geräusche hinzufügt, aber der geist so gänzlich abwesend ist beim sprechen des satzes. Man gibt dem gast sozusagen sein wort „Mein haus ist dein haus“. Und das gibt es nicht nur in deutschland dieses konzept, sondern diesen satz zu diesem gastgeber*innenkonzept gibt es so ziemlich in jedem land, in jeder sprache.
Aber was haben nun die 'gastarbeiter' hier vorgefunden und erfahren? Wenn man das mit der herkömmlichen erwartungshaltung bei dem wort ‘gast’ vergleicht, ist das nicht so viel gastfreundlichkeit, was sie bekommen haben. Auch
wurde keine zeit vergeudet. Sobald sie hier ankamen, arbeiteten sie auch gleich und das ist keine übertreibung, wenn ich sage, dass sie gleich am nächsten tag ihrer landung mit dem flugzeug in deutschland, sofort mit ihrer arbeit in der
fabrik anfingen. Man wollte anscheinend die 'gäste' keinen tag zu viel beherbergen, sonst rechnet sich der kosten-/nutzenfaktor nicht mehr. Auch ließ man ihnen keinen tag oder eine oder zwei wochen zeit, um etwas deutsch zu lernen, auch ließ man ihnen zwischen den vollzeitstellen, die sie bekamen, keine zeit für einen deutschkurs, auch informierte man sie nicht, die ankamen und kein deutsch konnten, dass es da und da deutschkurse gibt und wie sollten sie es auch selbst herausfinden, sie konnten ja kein deutsch. Und für manch einen jungen menschen sei hier an dieser stelle erwähnt: sie hatten auch kein internet, denn es war 1955 bis ca. 1980. Und besser war sowieso, sie lernten kein deutsch, denn sie sollten ja ihre rechte nicht verstehen. Das wäre kontraproduktiv, wenn sie nun deutsch könnten und möglicherweise erfahren, dass sie hier rechte besitzen.
Nein, man informierte sie stattdessen über alle formen von überstunden, die sie machen könnten und formen der produktion, zum beispiel, dass sie auch akkord arbeiten könnten.
Und wenn ich an 'gast' denke, denke ich nicht an arbeit. Also, wer lädt jemanden als gast zu sich ein und lässt diese person dann arbeiten oder erwartet, dass sie irgendwas arbeitet in dem eingeladenen zuhause? Ein gast arbeitet nicht. Und entscheidet nicht normalerweise der gast, wann er*sie gehen möchte? Also, ich kenne das so, dass der gast entscheidet, wann er*sie geht. Ich kenne das nicht so, dass man seinem gast sagt, du sollst jetzt diese unbestimmte zeit, von der ich selbst nicht weiß, wie lang sie ist, bei mir bleiben und dann musst du aber sofort gehen, wenn ich das will. Also, so kenne ich das nicht. So hab ich das nicht kennengelernt eigentlich weder bei den türk*innen noch bei allen deutschen, die ich je getroffen und kennengelernt habe. Warum diese spezielle andere etwas unfreundliche bis hinzu grobe behandlung der menschen, die hierhergekommen sind, um dieses land wieder aufzubauen?
Also lange rede kurzer sinn, was ich mit alldem eigentlich sagen will ist, dass der widerspruch zwischen den worten 'gast' und 'arbeiter' geradezu absurd ist.
Karina Pino: Imaginary Conversation with Yüksel Pazarkaya
Imaginäres Gespräch mit Herrn Yüksel Pazarkaya
Ich würde Sie gern alltägliche Dinge fragen: wie Ihr Alltag war, was Sie gern mochten und früher gern aßen, wo Sie sich mit Ihren Freunden trafen. Welche Musik Sie hörten, wenn Ihnen langweilig war, welche Dinge Sie sich einfach so aus Vergnügen oder Eitelkeit kauften. Welche Züge Sie nahmen, wohin Sie gern reisten. In den scheinbar unwichtigen Details liegt das Leben – in dem Alltäglichen, das uns langsam formt, wie eine sorgfältig gefertigte, schlichte Figur aus Keramik oder Pappmaché.
Was geschah mit Ihnen im Jahr 1966-1967? Wie gelang es Ihnen, eine Gruppe zu gründen, diese Samen zu säen? Sie lieben es zweifellos zu säen. Sie sind ein Kultivierender. Vielleicht von Pflanzen, oder nicht? Aber sicher von Geschichte, Herr Pazarkaya. Sie haben diese Samen gegossen, beinahe unbemerkt, einfach so. Sie fragten nicht danach, dass dieses erste Stück von 1966 in einem Buch erschien. Sie streuten weiterhin fruchtbare Erde über diese schwierige Welt. Sie bauten Brücken über reißende Flüsse, Gleise über Abgründe, Züge über Grenzen.
Und hier sind wir, Herr Pazarkaya, neunundfünfzig Jahre später, zurückgekehrt zu jenem unveröffentlichten Nicht-Bahnhof. Ich glaube, es war – und ist – nötig, den Nicht-Bahnhof, den Sinnverlust, das Verstummen, die verworrene Sprache jener Charaktere wieder aufzusuchen, die eine Gesellschaft symbolisieren, die sich in mancher Hinsicht kaum verändert hat. Aber warum? Neunundfünfzig Jahre sind ein ganzes Leben ... warum stehen wir heute wieder hier, Herr Pazarkaya?
1967 Das Übergangsjahr:
• Der Israel Sechstagekrieg brach aus,
• der Keim des Prager Frühlings begann zu sprießen,
• die erste Herztransplantation fand statt,
• die PC-Maus wurde geboren.
• Der Summer of Love wurde in San Francisco gefeiert,
• The Graduate hatte Premiere.
• Benno Ohnesorg wurde ermordet.
• Die Stasi verschärfte die Unterdrückung von Intellektuellen und Andersdenkenden.
• Die Sowjet Oktoberrevolution wurde 50.
• Steiff-Teddybären verkauften sich besser denn je.
• Farbfernsehen kam in die Haushalte.
• Heino veröffentlichte seine erste Volksmusikplatte.
• Deutschland geriet in die Rezession.
• Kuba vergaß langsam seine idealistische Revolution und begann, sich selbst zu verschlingen.
Aber das waren bekannte Ereignisse, nicht wahr? Auf der anderen Seite folgte die Welt weiter ihrem absurden Weg…
• In einer Hamburger Schule wurden Gelstifte verboten, da sie ,technologisch störend‘ seien.
• Singapur erlebte eine männliche Epidemie von Koro (Angst vor dem Schrumpfen und Verschwinden der Genitalien). Panik herrschte tagelang in den Krankenhäusern.
• In München erfand eine Bar den Cocktail ,Kalter Hund mit Korn‘. Er war nicht beliebt.
• In Japan erfand jemand einen Rückenwaschschwamm mit Stiel. Niemand kümmerte sich darum.
• Sonnensturm in den Vereinigten Staaten glich einem sowjetischen Angriff. Er hätte beinahe einen Atomkrieg ausgelöst.
• In Paris brachte man Schuhe mit Lavendelduft auf den Markt. Sie wurden zurückgezogen, da sie Hunde verwirrten.
• In Finnland verkaufte ein Automat Eis. Er wurde wegen ,der kalten Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit‘ entfernt.
• In Stuttgart wurde ein Schwein mit fünf Beinen geboren.
• Und auf einem verlorenen Bahnsteig in einem vergessenen Bahnhof, umgeben von Abgründen, warteten sechs Menschen auf einen Zug, der nie kam.
Herr Pazarkaya, warum reden wir nicht über diesen Zug? In diesem Land, in dieser Stadt, ist der Zug ein Symbol für so vieles: Deportationen, Trennungen, Eingrenzungen, Ankünfte, Arbeitskraft, Hoffnung, Wohlstand, Gemeinschaft? Zukunft? Stimme? Warum kam dieser Zug nie? Diese sechs Menschen drängten sich in tragischer Erwartung an einem dystopischen Ort, sie erwarteten die Ankunft einer rettenden Maschine, wie der Deus ex Machina in den antiken Stücken von Aischylos und Sophokles. Aber das waren Tragödien, von Helden mit Pathos und Hamartia (tragische Verfehlung). Ist Ohne Bahnhof eine Tragödie? Eine Tragödie, die auf gewisse Weise immer noch an zahllosen Bahnhöfen stattfindet, mit verlorenen, irrelevanten Antihelden, die noch keine Anagnorisis (Erkenntnis), keine Katharsis machen? Hatten sie kein Recht auf Erlösung? Kein Recht auf den Zug?
Ich würde Sie all das gern fragen, wenn ich nur in einer Ihrer Sprachen mit Ihnen sprechen könnte. Aber ich habe beschlossen, anders zu sprechen, weil ich an etwas dachte, das Sie gesagt haben:
,Die Welt ist völlig versprachlicht, und damit geht die wahre Funktion der Sprache verloren: die des Dialogs und der Verständigung. Das Ergebnis ist Verstummen durch ein Zuviel an Sprache.‘
Und ich dachte an das, was Sie schrieben:
,Wie viel Sprache braucht ein Migrant – oder, wie viel braucht ein Mensch?‘
Ich: wie viel Sprache brauche ich, um hier laut zu sprechen, zum Beispiel? Wie viel brauchte der Fremde in Ihrem Stück? Der Fremde — das interessiert mich auch! Sind wir nicht fremd, weil die anderen uns so sehen? Fremd— wem gegenüber? Und dennoch verteidige ich sein Verstummen. Das Stärkste in Ihrem Schreiben in diesem Stück sind nicht die Worte der anderen – die gewalttätigen, hoffnungslosen, ungewissen, wütenden, poetischen, erbarmungslos verletzlichen Worte. Es sind nicht die inneren Risse einer Gesellschaft von „Typen“, die Abgründe zwischen Klassen, vage Zukünfte, Kräfte im Streit um Status und Geld zeigen. Nein, nein – das Ursprünglichste in Ihrem Stück ist das brutale Verstummen eines Fremden. Nicht irgendeines Fremden, sondern ein Fremder, der nicht spricht. Und ja, ich weiß: er spricht nicht, weil er kein Deutsch kennt. Aber nein. Das Verstummen war die beste Art, eine Mauer zu zeigen, eine soziale Grenze mit Elektrodraht, mit Hunden und Polizei: ein Abgrund. In der universellen Sprache der Stille.
Stumm zu sein ist eine politische, poetische Aussage, Herr Pazarkaya. Etwas, das ich jetzt —wie andere Sprache— schamlos von Ihnen übernehme.
Denn, ich gestehe, wir haben uns nicht so sehr verändert. Ein wenig schon —in neunundfünfzig Jahre. Einige Dinge haben sich dank Saatsstreunern wie Ihnen doch etwas gewandelt… Aber die Arbeiterin, der Journalist, der Arbeiter und die Studentin, der Rentner und natürlich die große Fische – sie sind noch manchmal da draußen, verstreut, und warten auf einen Zug in die Zukunft. Für manche ist der Zug noch immer nicht gekommen, ja. Manche warten hin und wieder, beobachten, wie Hochgeschwindigkeitszüge vorbeirauschen und kurz halten, um ihre Ladung aufzunehmen. Die Zukunft erscheint ein wenig ungewiss. Ist das nicht gerade erstaunlich? Für mich bleibt das Verstummen eine nicht-wörtliche Form des Daseins. Auf gewisse Weise wird das Zugspiel, um die Zeit totzuschlagen, noch immer gespielt.
Der Konflikt zwischen Sprache und Schweigen besteht weiter. Warum müssen wir immer sprechen? In einem definierten Code?
Deshalb das Schweigen dieses Fremden. Eine Stille, die uns heute unserer Stimme bewusst macht. Wie schön, Herr Pazarkaya.
Sie schrieben:
,Die Sprache der Politik reguliert, reglementiert und regiert. Und das ist ein fundamentaler Widerspruch zur Vielheit der Sprachen – insbesondere der menschlichen‘.
,Die Sprache der Ausgrenzung ist politisch. Die Sprache der Inklusion ist menschlich – das heißt: Sprachenvielfalt. Diese von der Politik vorgeschriebene deutsche Sprache der Ausgrenzung wird niemals zur Integration taugen.‘
Dieser Text spricht mich an, weil er von Sprache handelt... und von der Zukunft.
Ach, Herr Pazarkaya, es bewegt mich, das zu lesen. Bewegt zu sein, ist auch nicht gern gesehen. Aber da ich “stumm” bin, habe ich jetzt das Recht, mich öffentlich bewegen zu lassen. Ich füge der Stille Gefühl hinzu. Was könnte stärker sein?Was könnte schöner sein?
Wie Sie sehen können, habe ich in diesem imaginären Gespräch hauptsächlich Fragen. Und eine Gewissheit: Die Züge bringen uns nur an einen Ort, an dem jeder eine Stimme hat.
Ich, Herr Pazarkaya, danke Ihnen. Denn in gewisser Weise haben Sie wie ein Deus ex Machina in Richtung Zukunft für viele gesprochen – damals und sogar heute noch. In Ihrem Nicht-Bahnhof gibt es noch lebende Pflanzen. Pflanzen, die gepflegt werden müssen. Worte, die wieder aufgegriffen werden sollten, weil sie auch heute noch aktuell sind.
Wir sind jetzt anders, wir haben etwas Wertvolles gewonnen. Aber es gibt noch immer unbeantwortete Fragen, alte Dilemmata, die ungelöst bleiben. Selbst Herr Pazarkaya, wir beschäftigen uns immer noch mit dem Problem der Vielfalt oder der Akzeptanz. Können Sie das glauben? In genau dieser Welt, diesem Land und dieser Stadt. Wo Sie vor fast sechs Jahrzehnten Geschichte gepflanzt haben. Und Kultur.
,Denn unvereinbar‘, schrieben Sie 1996, ,können nur die Unkulturen sein – nicht die Variablen einer einzigen Kultur – Kultur als variables Phänomen der Menschheit.‘
Ich sehe jetzt, dass ich Sie nicht zu Wort kommen ließ ... Verzeihen Sie mir, Herr Pazarkaya. Ich hoffe, dass wir uns durch das ,Schweigen‘ —meine Sprache— irgendwie verstanden haben.






